Stellungnahme zur Handlungsempfehlung vom BIH 01.02.2021 „Empfehlungen zur Bezuschussung von Kosten für Gebärdensprachdolmetschende (GSD) im Rahmen der begleitenden Hilfe im Arbeitsleben“

Wir, der GSV Thüringen e.V., BDGL Thüringen e.V. und der LVGLTH e.V., als wichtigster Interessenvertreter der Gehörlosengemeinschaft Thüringens und Gebärdensprachdolmetscher-/Kommunikationsassistenzen Thüringens sprechen uns entschieden gegen die Ausführung und Umsetzung der Handlungsempfehlung der BIH zur Vergütung von Gebärdensprachdolmetscherleistungen aus. Auch die seitens des Thüringer Integrationsamtes avisierten Regelungen gehen bedauerlicherweise am Ziel vorbei.

Mit großen Erstaunen müssen wir feststellen, dass vom BIH empfohlen wird den allgemein gültigen, anerkannten und marktüblichen Vergütungssatz, welcher sich nach dem JVEG mit 85 €/h richtet, nicht einzuhalten und somit das wesentliche Ziel, wie laut in der Empfehlung angebracht:

„… darauf hinzuwirken, dass die schwerbehinderten und ihnen gleichgestellten
Menschen mit einer Hörschädigung in ihrer sozialen Stellung nicht absinken, auf Arbeitsplätzen beschäftigt werden, in denen sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse voll verwerten und weiterentwickeln können und befähigt werden, sich im Wettbewerb zu behaupten (§ 185 SGB IX).“

unterlaufen wird. Dies stellt einen eklatanten und für uns nicht akzeptablen Wiederspruch dar, da die hörbehinderten Arbeitnehmer:innen dadurch benachteiligt werden und sich im Wettbewerb mit hörenden Arbeitnehmer:innen ohne Kommunikation auf Augenhöhe nicht behaupten können.

Die Mittel aus der Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabeverordnung (SchwbAV) sind laut § 14 Abs. 1 Punkt 2 und Abs. 2 SchwbAV vorrangig für folgende Leistungen zu verwenden:

„ (1) Die Integrationsämter haben die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel
[… für …]
2. Leistungen zur begleitenden Hilfe im Arbeitsleben [… zu nutzen]
(2) Die Mittel der Ausgleichsabgabe sind vorrangig für die Förderung nach Absatz 1
Nr. 1 und 2 zu verwenden.“

Dessen Priorität wird nochmals mit der Formulierung im § 41 Abs. 2 SchwbAV „(… ) vorrangig für die Eingliederung schwerbehinderter Menschen in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu verwenden.“ unterstrichen.

Deren Ausführungen bzw. Leistungsarten sollen laut § 17 Abs. 1 SchwbAV „… dazu dienen und geeignet [… sein], die Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (Aufnahme, Ausübung oder Sicherung einer möglichst dauerhaften Beschäftigung) zu ermöglichen, zu erleichtern oder zu sichern.“ Weiterhin besagt § 17 Abs. 1a SchwbAV, dass sich daraus für den „ … Schwerbehinderte[n] Menschen (…) im Rahmen der Zuständigkeit des Integrationsamtes (…) aus (…) der Ausgleichsabgabe zur Verfügung stehenden Mitteln [ein] Anspruch auf Übernahme der Kosten …“ ergibt.

Einen wesentlichen Einfluss auf die Art und Höhe der Leistungen haben laut §33 Abs. 2 SchwbAV die wirtschaftliche und finanzielle Situation des Arbeitgebers, sowie die dringliche Notwendigkeit der Leistung für den Arbeitnehmer.

„(2) Art und Höhe der Leistung bestimmen sich (…) nach der wirtschaftlichen Situation der Einrichtung und ihres Trägers sowie nach Bedeutung und Dringlichkeit (…).“

Mit der nun vorliegenden Empfehlung des BIH entsteht eine sehr gefährliche Konstellation, die ausschließlich zum Nachteil des Schwerbehinderten hörbeeinträchtigen Arbeitnehmers geht und die Aufnahme, Ausübung bis hin zur Sicherung eines sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis erheblich bedroht, da es in Thüringen nicht möglich ist Gebärdensprachdolmetschende im Rahmen der begleitenden Hilfen im Arbeitsleben zu finden, die bereit sind für einen vom JVEG abweichenden geringeren Vergütungssatz zu arbeiten. Die Thüringer Dolmetschenden arbeiten ausschließlich zu Honorarsätzen in Anlehnung an die Beträge des JVEG.

Nicht jeder Arbeitgeber wird perspektivisch dauerhaft in der Lage sein den entstehenden Differenzbetrag aus Eigenmitteln aufbringen zu können. Geringere Bezuschussungssätze gehen vor allem zu Lasten der Arbeitgeber und damit in Folge zu Lasten der hörgeschädigten Arbeitnehmer:innen.

Der BIH führt als Begründung für seine Handlungsempfehlung an, dass nur eine Sozialleistung gewährt wird und sich somit daraus keine Verpflichtung zur Einhaltung laut SGB I und SGB X ergibt. Diesem Wiedersprechen wir – da aus den Gesetzen hervor geht, das der Leistungsträger der die Sozialleistung gewährt sich an die Vergütung laut § 5 KHV und damit auch nach dem JVEG zu richten hat.

§ 17 Abs. 2 SGB I
„(2) Menschen mit Hörbehinderungen und Menschen mit Sprachbehinderungen haben das Recht, bei der Ausführung von Sozialleistungen, (…) in Deutscher Gebärdensprache, mit lautsprachbegleitenden Gebärden oder über andere geeignete Kommunikationshilfen zu kommunizieren. Die für die Sozialleistung zuständigen Leistungsträger sind verpflichtet, die durch die Verwendung der Kommunikationshilfen entstehenden Kosten zu tragen. § 5 der Kommunikationshilfenverordnung in der jeweils geltenden Fassung gilt entsprechend.“

§ 19 Abs. 1 SGB X
„(1) Die Amtssprache ist deutsch. Menschen mit Hörbehinderungen und Menschen mit Sprachbehinderungen haben das Recht, in Deutscher Gebärdensprache, mit lautsprachbegleitenden Gebärden oder über andere geeignete Kommunikationshilfen zu kommunizieren; Kosten für Kommunikationshilfen sind von der Behörde oder dem für die Sozialleistung zuständigen Leistungsträger zu tragen. § 5 der Kommunikationshilfenverordnung in der jeweils geltenden Fassung gilt entsprechend.“

Das Integrationsamt gewährt Sozialleistungen als begleitende Hilfen zum Arbeitsleben in Form der Kostenübernahme der notwendigen Gebärdensprachdolmetscher bzw. Kommunikationshilfen und ist somit der Leistungsträger. Weshalb die Vorgabe zur Vergütung nach § 5 KHV greift und sich daraus der Anspruch auf den vollen Vergütungssatz laut JVEG ableiten lässt.

Zum Abschluss möchten wir noch kurz auf die Widersprüchlichkeit der vorliegenden Empfehlung mit der abgegebenen Stellungnahme von 2018 zur Erhöhung des Vergütungssatzes im JVEG hinweisen. So stellte das BIH damals fest, dass es bereits schon vor zweieinhalb Jahren ein erhebliches Problem darstellte, Gebärdensprachdolmetschende für den damals gültigen JVEG Stundensatz von 75 €/h zu verpflichten. Wir fragen – gehen das BIH und die Integrationsämter nun davon aus, dass sich die Situation durch die Verringerung der Vergütungshöhe von 12% bis 24% verbessern wird? Oder wird sie sich nicht wohl doch eher dadurch nochmals verschlechtern?

Mit der Einhaltung der vorliegenden BIH-Empfehlung tragen die Integrationsämter dazu bei, dass sich die Situation für hörbehinderte Arbeitnehmer:innen verschlechtert, da diese keine Dolmetscher:innen mehr für ihre Termine, zu den geplanten Konditionen, finden werden. Und somit wiederrum im Arbeitsleben gegenüber hörenden Kollegen:innen eine extreme Benachteiligung erfahren. Im Endeffekt wird wissentlich der Arbeitsplatz von den hörbehinderten Arbeitnehmern: innen gefährdet, da ihnen ohne Dolmetscher: innen die Teilnahme an Besprechungen und Konferenzen, Schulungen und Weiterbildungen und letztendlich die Ausübung ihrer Tätigkeit nicht mehr möglich ist.

Wir möchten daran erinnern, dass letztendlich eine Empfehlung nur ein Vorschlag ist, welcher jedoch nicht verbindlich umgesetzt werden muss. So gibt ein Budget, im Rahmen der begleitenden Arbeitshilfen, doch nur die Höhe der zur Verfügung gestellten Geldmittel durch das Integrationsamt zur Finanzierung der Gebärdensprachdolmetschenden-/Kommunikationshilfekosten vor, jedoch nicht den Stundensatz dazu.

Hans SeyfarthElisabeth SteinchenHarri Etzhold
Präsident GSV Thüringen e.V.2. Vorsitzende BDGL e.V.2. Landesvorsitzender LVGLTH e.V.